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Wenn Träume sich verändern

Ich habe schon mein ganzes Leben lang Musik gemacht. Gestartet habe ich als Kind mit Blockflötenunterricht, habe aber kurz danach zum Klavier gewechselt. Während andere spätestens in der Pubertät das Handtuch warfen und ihr Instrument aufgaben, habe ich weitergemacht: Tonleitern, Etüden und Sonaten wurden rauf und runter geübt. Ich habe Klavier solo gespielt, aber auch öfter eine Freundin auf der Geige begleitet und ein anderes Mädchen auf der Querflöte. Gemeinsam und allein nahm ich mehrfach beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ teil. Mit dem Cembalo durfte ich mich sogar in einem Orchester ausprobieren und an Konzertreisen ins Ausland teilnehmen. Meine Geschwister waren des Öfteren genervt und riefen, ich solle doch jetzt endlich mal aufhören mit dem ständigen Üben. Aber ich hatte ein Ziel, ich hatte einen Traum: ich wollte Musik studieren! Dafür nahm ich neben dem Klavierunterricht auch regelmäßig am Kurs „Musiktheorie“ teil und bekam Gesangsstunden.

Nach einem Autounfall während der 12. Klasse konnte ich andauernde Kopfschmerzen bis zum Abitur nur mit Schmerzmitteln im Griff halten. Nach dem Abi aber sollte damit Schluss sein. Deshalb nahm ich mir ein Jahr der Auszeit, in dem mein Kopf zur Ruhe kam und ich keine Schmerzmittel mehr nehmen musste. Ich investierte meine Zeit ins Üben und meldete mich zur Aufnahmeprüfung an verschiedenen Musikhochschulen an. 

Und mein Traum wurde wahr: ich wurde aufgenommen und durfte an der Musikhochschule Bremen mein Musikstudium beginnen. Ich war gespannt, aufgeregt und glücklich. Ich zog aus meinem Elternhaus aus und in eine 2-er WG in Bremen ein. 

Mein Hoch- und Glücksgefühl hielt allerdings nicht lange an. Mein Studium bestand neben verschiedenen Vorlesungen vorwiegend aus dem Üben, Üben und wieder Üben. Im oberen Teil der Musikhochschule sowie im Keller gab es einige kleine Übungszellen, in denen ich täglich mehrere Stunden verbrachte und einsam Bach, Mozart und Debussy vor mich hin übte. Neben mir erklangen Trompetentöne, klassische Arien und andere Klaviertöne von Pianisten aus dem russischen und asiatischen Raum. Das waren alles junge Profis, die so viel besser waren als ich. Oh, was litt ich unter diesem Druck, gut sein zu müssen, besser sein zu müssen als die anderen und wöchentlich große Fortschritte zeigen zu müssen. 

Ich war eine junge Frau, die zu diesem Zeitpunkt ihres Lebens gar nicht mit dem Leben klar kam. Schon als Teenager hatte ich eine Essstörung entwickelt. Immer, wenn’s schwer wurde in meinem Leben (und das Leben ist nun mal öfter kompliziert und schwieriger, als wir es uns wünschen), war die Sucht mein Ausweg aus meinen Problemen. Zumindest glaubte ich das zu diesem Zeitpunkt. Ich hatte Bulimie. Aus heutiger Sicht kann ich sagen, dass ich nie dick war. Aber ich fühlte mich trotzdem nicht gut genug, nicht dünn genug, nicht schön genug. Wenn mein Selbstwert im Keller oder gar nicht vorhanden war, wenn es schwierig wurde, saß ich vor der Toilette und erbrach. Der anschließende Blick in den Spiegel machte es nicht besser. Ich fühlte mich unglaublich wertlos! 

Was ich nicht wusste: in der 2er-WG, in die ich zog, lebte eine junge Frau, die unter Magersucht litt. Dies war leider keine glückliche Kombi für jemanden wie mich, die selbst mit dem Thema Essen kämpfte und unter einer Sucht litt. Bereits nach wenigen Monaten nach Studienbeginn war ich nur noch ein Häufchen Elend. Ich übte viele Stunden am Tag, und anschließend aß ich ganze Nutella-Gläser und erbrach sie wieder. Das war regelmäßiger Alltag! 

Ich bin froh und dankbar, dass ich nach relativ kurzer Zeit den Mut hatte mit anderen Menschen über meine Situation zu sprechen und ihnen erklären konnte, dass ich den Druck des so-gut-sein-müssens nicht aushielt. Ich gab zu, dass ich wieder ständig vor der Toilette saß und meinen Körper und auch meine Seele damit kaputt machte, dass ich keine Lust mehr hatte Klavier zu spielen und dass ich diesen Traum nicht mehr leben wollte. 

Nachdem ich ehrlich wurde und meine Gedanken und Gefühle ausgesprochen hatte, empfahl mir eine jemand, ein Urlaubssemester einzulegen um mir darüber klar zu werden, ob ich noch Musik studieren wollte oder nicht. Das war ein guter Rat, den ich in die Tat umsetzte. Während ich in einem Modeladen jobbte, konnte ich mir darüber klar werden, dass das Thema Musik erstmal für mich zu Ende war. Über ein Jahr lang rührte ich kein Klavier an. Ich brauchte Abstand. Und der tat mir gut. Zusätzlich zog ich aus der WG aus und mit einer Freundin aus meiner Gemeinde in eine neue 2er-WG. Dort ging es mir deutlich besser!

Es hat sehr lange gedauert, bis ich auch das Thema Essstörung zu den Akten legen konnte und bis ich mich von Jesus heilen ließ. Aber eines Tages war ich bereit dazu. Jesus hat mich von dieser Sucht befreit und geheilt. Alles, was aufzuarbeiten war, habe ich unter Begleitung einer ausgebildeten Seelsorgerin aufgearbeitet und verarbeitet. Schon seit vielen Jahren ist das Essen nun ein Genuss für mich und keine Sucht mehr. Halleluja! 

Und was geschah mit meinem Traum Musik zu machen? Dieser Traum veränderte sich. Nach und nach wurde mir die Musik wieder wichtiger und Töne in meinem Inneren wieder lebendig. Klavierspielen ohne Druck im Nacken war eine Befreiung für mich! Heute lebe ich meinen Traum Musik im Rahmen eines Lobpreisteams. Ich muss keine Sonaten und Etüden mehr üben und muss mich nicht auf Wettbewerbe vorbereiten. Ich darf ein Lobpreisteam meiner Gemeinde leiten und darf zur Ehre Gottes singen und spielen. Das macht mir unglaublich viel Freude. Das berührt mein Herz. Im Lobpreis kann ich meinen Traum leben. Der Traum hat sich nur verändert – zum Guten! Ich bin Jesus unglaublich dankbar, dass er mir die Freude und Leidenschaft für die Musik zurückgeschenkt hat. Ihn will ich loben und preisen mit meiner Musik. 

Was ist mit dir? Hast du auch schon Träume in deinem Leben gehabt, die zerbrochen oder gescheitert sind – Träume, die sich ausgeträumt haben? Ich wünsche dir den Mut mal genau hinzuschauen: Ist vielleicht etwas Neues aus deinem Traum entstanden? Hat sich dein Traum vielleicht verändert? Kannst du trotz zerbrochenen oder verlorenen Träumen Gottes Fußspuren in deinem Leben erkennen? Jesus schreibt mit jedem von uns Geschichte. Vieles erkennen wir erst im Nachhinein. Aber es lohnt sich genau hinzuschauen. 

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